Montag, 29. Dezember 2008

Wahrnehmung und Wahrheit

Auseinandersetzungen zwischen den Subjektivisten und den Rationalisten in der Hifi-Szene haben ja oft einen philosophischen Hintergrund, der einem in der Hitze des Gefechts gar nicht bewußt wird. Was da aufeinander prallt ist nicht bloß eine unterschiedliche Meinung über Sinn und Unsinn von Blindtests, sondern es sind zwei unterschiedliche Weltsichten. Zwei unterschiedliche Ansichten darüber, wie man die Wahrheit rausfindet. Oder was Wahrheit überhaupt ist.

Bei so manchem Subjektivisten habe ich das Gefühl, daß er mit Wahrheit als Konzept so seine privaten Schwierigkeiten hat. Er tut so als sei für ihn das wahr was er wahrnimmt. Die Sinne sind der heiße Draht von der Welt da draußen zum Bewußtsein da drinnen, und beim Audiophilen ist dieser heiße Draht eben besonders high-fidel, besonders dick und besonders verlustarm.

Der Rationalist dagegen hält die Sinne bzw. die Wahrnehmung eher für ein Hindernis bei der Erkenntnis der Wahrheit. Zu viele Täuschungen, Irrtümer, Einbildungen und Wunschvorstellungen als daß man sich auf das Wahrgenommene verlassen könnte. Wer die Wahrheit erfahren will muß indirekt vorgehen, um die Fehler der Wahrnehmung zu umgehen. Das verlangt kritischen und kreativen Einsatz der grauen Masse, in der die Wahrnehmungen auflaufen.

Der Subjektivist: Die Welt ist so wie sie mir scheint.
Der Rationalist: Die Welt ist nicht so wie sie scheint.
Der Subjektivist spottet: Im Gegensatz zu Dir kann ich mich noch auf meine Sinne verlassen!
Der Rationalist spottet: Wenn Du den Kopf in den Sand steckst verschwindet für Dich die Welt!

Lustig zu sehen wie alt diese Auseinandersetzung ist, und wie wenig wir hier weiter gekommen zu sein scheinen. Solche Dinge waren nämlich schon Streitthema als es noch gar keine Audiophilen gab. Im antiken Griechenland z.B. gab es auch schon Subjektivisten und ihre Kritiker. Protagoras hat die Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit abgestritten und meinte es gebe nur eine individuelle, subjektive Wahrheit. Heutzutage wäre er bestimmt Audiophiler. Sokrates hatte keine besonders vorteilhafte Meinung davon. Sein Schüler Platon hat im Theaitetos eine Diskussion niedergeschrieben (ob originalgetreu sei dahingestellt), in der sich Sokrates über Protagoras so äußert:
"Das übrige hat mir alles sehr wohl gefallen, was er sagt, daß, was jedem scheint, für ihn auch ist; nur über den Anfang seiner Rede wundere ich mich, daß er nicht gleich seine »Wahrheit« so beginnt, das Maß aller Dinge sei das Schwein oder der Affe, oder was man noch unter allem, was Wahrnehmung hat, Unvernünftigeres nennen könnte, damit er recht hochsinnig und herabwürdigend begönne zu uns zu reden, indem er zeigte, daß wir zwar ihn bewunderten als einen Gott seiner Weisheit wegen, er aber doch nichts besser wäre an Einsicht als ein halberwachsener Frosch, geschweige denn als irgend ein anderer unter den Menschen. [...] Denn wenn einem jeden wahr sein soll, was er mittelst der Wahrnehmung vorstellt, und weder einer den Zustand des andern besser beurteilen kann, noch auch die Vorstellung des einen der andere besser imstande ist in Erwägung zu ziehen, ob sie wahr oder falsch ist, sondern, wie schon oft gesagt ist, jeder nur seine eignen Vorstellungen hat und diese alle richtig und wahr sind: wie soll denn wohl, o Freund, nur Protagoras weise sein, so daß er mit Recht auch von andern zum Lehrer angenommen wird, und das um großen Lohn, wir dagegen unwissender, so daß wir bei ihm in die Schule gehn müssen, da doch jeder Mensch das Maß seiner eignen Weisheit ist? Und wie sollen wir nicht glauben, daß Protagoras dies bloß im Scherz vorbringt? [...] Denn gegenseitig einer des andern Vorstellungen und Meinungen in Betrachtung ziehen und zu widerlegen suchen, wenn sie doch alle richtig sind, – ist das nicht eine langweilige und überlaute Kinderei, wenn anders die »Wahrheit« des Protagoras wirklich wahr ist und nicht nur scherzend aus dem verborgenen Heiligtum des Buches herausgeredet hat?"
Es liest sich etwas geschraubt, aber man kann's in einfacherer Sprache zuspitzen: Wenn jeder seine eigene Wahrheit hat, wie kann dann Protagoras meinen er wisse es besser?

Oder so: Wer sagt jeder habe seine eigene Wahrheit, der vergackeiert entweder sich selbst, oder die anderen.

Ich mache keinen Hehl daraus daß ich hier auf Sokrates' Seite stehe. Ich finde er läßt den Subjektivismus ziemlich alt aussehen. 2500 Jahre alt. Da sage noch einer ich würde krass formulieren! Von den Audiophilen wäre sogar mir nicht eingefallen zu sagen, sie hätten die Einsicht von halberwachsenen Fröschen.

Was das vergackeiern angeht bin ich aber gänzlich einverstanden. Ich halte den Subjektivismus für eine Vergackeierungsmethode. Und man kann auch schön sehen daß die Einen sich selbst vergackeiern, die anderen sind eher darauf aus jemand Anderen des Geldes wegen zu vergackeiern.

Wahrheit und Wirklichkeit sind Konzepte, die überhaupt erst einen Sinn haben wenn sie nicht individuell und subjektiv sind. Wenn es eine unabhängige Wirklichkeit gibt, und wenn die Wahrnehmung davon bei unterschiedlichen Menschen verschieden ist, dann kann die Wahrnehmung allein nicht reichen, um die Wirklichkeit zu erkennen. Es braucht mehr. Was könnte das sein?

Jetzt sind wir bei der Wissenschaft. Und damit beim Wissen. Wenn Wahrnehmung allein reichen würde bräuchten wir weder Wissen noch Wissenschaft. Wir bräuchten bloß Augen und Ohren aufsperren, und die Wirklichkeit reinlassen. Das kann aber auch der halberwachsene Frosch. Wir haben ihm etwas voraus: Wir können denken. Ok, vorsichtiger formuliert: Ich vermute die meisten von uns können denken. Meistens.

Ich sage jetzt mal ganz provokativ: Der Sinn des Denkens besteht darin, seine Wahrnehmung in Frage zu stellen. Damit man hinter die Fassade der Dinge blicken kann, ihre wahre Natur erkennen kann. Vielleicht im ganz antiken Sinn auch sich selbst erkennen kann. Die Wissenschaft hat sich ein Programm und eine Methode gegeben wie man diese Wahrheit finden kann, nämlich durch eine Kombination aus Theoriebildung, Ableitung von Vorhersagen, und Überprüfen der Vorhersagen durch experimentelle, vom Experimentator unabhängige Verifikation. Dieses Programm ist geradezu spektakulär erfolgreich gewesen, wie wohl kaum jemand leugnen kann. Es kann also wohl kaum grundlegend falsch gewesen sein.

Der Rückgriff auf die eigene subjektive Wahrnehmung hätte dagegen noch nicht einmal zur Erkenntnis führen können daß die Erde um die Sonne kreist. Jeder weiß daß es so aussieht als kreiste die Sonne um die Erde, aber daß es in Wahrheit anders rum ist. Durch Wahrnehmung allein hätten wir das nie und nimmer rausgefunden. Dazu waren eine Menge tiefsinniger Überlegungen nötig, und das Vertrauen darin, daß diese Überlegungen letztlich ein besseres Bild von der Wahrheit vermitteln können als die unmittelbare Wahrnehmung.

Heute glaubt kein halbwegs aufgeklärter Mensch mehr daran daß die Sonne um die Erde kreist. Aber warum glaubt das keiner mehr? Es sieht doch immer noch so aus! Wenn die eigene Wahrnehmung bei Audio immer noch das Wichtigste ist, warum ist das bei der Sonne nicht genauso?

Auch der Audiophile akzeptiert also wissenschaftlich erworbenes Wissen, wenn es um die Sonne geht. Bei Audio aber läßt er bloß sein eigenes Gehör gelten. Wenn der wissenschaftliche Erkenntnisstand seiner Hörerfahrung widerspricht, dann hofft er auf in der Zukunft noch zu findende wissenschaftliche Ergebnisse. Das ist ungefähr so geistreich wie der Glaube, zukünftige wissenschaftliche Erkenntnisse würden irgendwann die Sonne wieder um die Erde kreisen lassen, wie es der Wahrnehmung entspricht.

Die Erkenntnis, daß die Wirklichkeit sich von unserer Wahrnehmung derselben unterscheidet, und daß es so etwas wie eine äußere Wirklichkeit gibt, die auch da bleibt wenn wir weg sind oder wegschauen, gehört zu den grundlegenden Kulturleistungen der Menschheit. Das scheinen bloß noch nicht alle in ihrer ganzen Tragweite begriffen zu haben.
"Die Wirklichkeit ist das, was nicht verschwindet wenn Du nicht mehr daran glaubst."
Bei Audio verschwindet so Einiges wenn man aufhört daran zu glauben, und daraufhin Untersuchungsmethoden anwendet, die die eigene Person ausklammern. Wenn man also anfängt, das Thema mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen. Wenn man seinen Stolz runterschluckt, und anfängt aus dem zu lernen, was diejenigen in den letzten 2500 Jahren über die Wirklichkeit herausgefunden haben, deren Einsicht über die halberwachsener Frösche hinausgeht.

Samstag, 20. Dezember 2008

Einbrennen, bitte!

Versuch' Dir mal vorzustellen, Du wärst Verkäufer in einem High-End-Laden. Ein Traum-Job, man lebt nicht nur die audiophile Lebensart, sondern verhilft auch dem Mitmenschen dazu, dem Gleichgesinnten. Ein Leben, dem höchsten Klanggenuß verpflichtet!

Jetzt ist es natürlich so, daß der höchste Genuß beim Verkäufer in aller Regel mit Geld zusammenhängt, das der Kunde nach Möglichkeit zurücklassen sollte. Genauer gesagt, mit dem Teil des Geldes vom Kunden, das nach Abzug der Einkaufspreise und Unkosten noch übrig bleibt.

Zum Glück ist es jetzt in diesem Markt so, daß fast durch die Bank die besten und audiophilsten Geräte auch die sind, mit denen die größten Gewinne erzielt werden können. Es ist die fast universell akzeptierte Weisheit, die man in ihren Konsequenzen in den ganzen Testzeitschriften, und in den Meinungen der meisten Händler und auch der Kundschaft wiederfinden kann, daß von nichts eben nichts kommt, daß man also schon einiges investieren muß um zur höchsten Vollendung zu kommen, und daß daher die paar unbedeutende Miesepeter die dagegen wettern im Grunde nur neidisch sind.

Unter solchen Umständen sollte man also zwischen Händler und Kunde schnell handelseinig werden können. Der Kunde will ja viel Geld ausgeben, denn nur so kann er auch den entsprechenden Hochgenuß erreichen und gilt in seiner Bezugsgruppe etwas. Besonders bei Zubehörteilen wie Kabeln, Netzleisten, Racks etc. liegen die Händlermargen in Bereichen wo man im Bereich der Elektronik sehr selten hinkommt. Da bleiben bei den Händlern locker zwei Drittel oder mehr des Verkaufspreises, sogar schon bei vergleichsweise moderat bepreisten Teilen. Der entsprechende Einfluß auf den Genuß ist offensichtlich.

Das wäre alles wundervoll wenn es nicht immer wieder Kunden gäbe, die sehr kompliziert sein können. Diese Kunden glauben es ihrer Audiophilie schuldig zu sein, klangliche Nachteile von irgendwelchen Teilen festgestellt zu haben. Da hat man sich schon gefreut, daß man wieder ein 2000 Euro teures Lautsprecherkabel verkauft zu haben, an dem man als Händler locker 1500 verdient hätte, dann kommt der Typ zwei Tage später wieder zurück und meint, das Teil sei für ihn leider nicht spielfreudig genug und würde die Bässe zu sehr verzögern, da käme einfach kein Rhythmus auf.

Dabei hat der vorige Käufer des gleichen Teils exakt das Gegenteil berichtet. Aber als Händler muß man dazu ja gute Miene machen. Ja, selbstverständlich, es muß mit der Kette harmonieren, der Kunde hat natürlich völlig recht, die schlechte Erfahrung ist angesichts des hochwertigen Teils zwar schwer erklärbar, aber den Kunden auch nur den geringsten Zweifel an seinen Worten spüren zu lassen wäre fatal.

Was tun? Es stehen genug Kröten auf dem Spiel daß sich auch ein halber Tag schwafeln noch lohnen würde. Und siehe da, es gibt auch eine einfache Lösung!

Einspielen!

Wenn es dieses Argument nicht schon gäbe, man müßte es erfinden!

Welches andere Argument könnte einem komplizierten Audiophilen, der reklamierend vor einem steht, so sehr den Wind aus dem Segel nehmen?

Würde er etwa widersprechen: "Blödsinn, das Ding ist genug eingespielt, daran kann's nicht liegen?" Er müßte sich ja eingestehen daß er ein Teil gekauft hat, was nur 2 Tage eingespielt werden muß. Also daß er minderwertigen Ramsch gekauft hat. Nein, da nickt er lieber und nimmt das Kabel noch mal mit, diesmal für zwei Wochen. "Klar, einspielen, das kann natürlich gut sein, das werde ich probieren. Haben Sie einen guten Tip wie ich das am besten einspiele?" -- "Ja, klar, am schonendsten eingespielt wird so ein hochwertiges Kabel nach unserer Erfahrung mit dem speziellen Einbrennsignal von unserer Spezial-CD, die ich Ihnen für 49,99€ mitgeben könnte..."

Wenn er dann nach 14 Tagen wieder auf der Matte steht und das Kabel dennoch zurückgeben will, dann kann man wohl nichts machen, aber die Chancen stehen gut daß er sich an das Kabel gewöhnt hat, daß er den neuen Eindringling in seine audiophile Welt akzeptiert hat und nicht wieder hergeben will. Die Zeit heilt nicht nur Wunden, sondern auch Emotionen, und die menschliche Wahrnehmung ist sehr anpassungsfähig.

Und die Chancen stehen gut daß er darüber zum begeisterten Anhänger, Verbreiter und Verteidiger des Einbrennens wird, der dem kleinen Schwindel nachträglich die Rechtfertigung verleiht. Einbrennen funktioniert, wird er der Welt mitteilen wollen, ich hab's selbst gehört!

Und so wird eingebrannt was das Zeug hält! Nichts was nicht eingebrannt werden müßte. Und wenn 14 Tage nicht reichen, dann müssen es eben 6 Wochen sein oder ein halbes Jahr. Je länger eine Komponente eingespielt werden muß, desto besser muß sie sein, und desto teurer darf (nein, muß!) sie sein. Man munkelt, die neueste Kreation einer Komponente X müsse mehrere Jahre eingespielt werden um die maximale Klangqualität zu erreichen. Zu schade daß sie teurer als ein Neubau eines passenden Hörraums ist. Aber der neue Hörraum muß natürlich ebenfalls eingespielt werden. Ob man nicht vielleicht auch die Luft darin einspielen müßte?