Sonntag, 22. November 2009

Differenzen

Unterschiede sind ja bekanntlich geradezu die Existenzberechtigung und der Sinn der Audiophilen. So sehr, daß es ihnen geradezu als Sakrileg erscheinen muß wenn man versucht, die Unterschiede einzuebnen oder zu eliminieren.

Kein Wunder daß man damit in Konflikt mit dem Ingenieurwesen kommt. Dort geht ein gehöriger Teil des Aufwandes in das Vermeiden und das Kompensieren von Unterschieden. Man will schließlich ein wohldefiniertes Ergebnis haben und nicht ein Chaos von mehr oder minder zufälligen Variationen.

Wer ein technisches Gerät in Massenstückzahlen herstellen will (und das fängt schon bei einigen Dutzend an) der muß dafür einen Herstellungsprozeß und ein Gerätedesign wählen, das Variationen in den Bauteilen und den Betriebsbedingungen ausgleicht und unabhängig davon funktioniert. Es ist keine besonders große Leistung, etwas einmal unter handverlesenen Bedingungen zum Funktionieren zu bringen. Die eigentliche Ingenieursleistung besteht darin, es zuverlässig und reproduzierbar und wirtschaftlich herstellbar zu machen. Es geht um die Nützlichkeit, und nicht bloß um die Möglichkeit.

In elektronischen Schaltungen sind die Röhren, Transistoren, und diverse weitere Bauteile in ihren Eigenschaften variabel. Das heißt sie ändern ihre Eigenschaften mit der Temperatur, dem Alter, zwischen einem Exemplar und dem nächsten, und trotzdem muß die Gesamtschaltung unbeeindruckt funktionieren.

Ein Ingenieur betrachtet es daher als einen Erfolg, wenn sein Gerät unbeeindruckt von den Umgebungsbedingungen, von Bauteilvariationen und von Alterungserscheinungen seinen Job immer gleich verrichtet. Der Audiophile denkt genau andersrum. Ihm gilt ein Gerät umso besser je mehr Zicken es in dieser Hinsicht hat. Wenn jedes Gerät aus einer Serie verschieden ist, wenn es wetterfühlig (bzw. stromfühlig) ist und regelmäßig neu justiert werden muß. Eine automatische Ruhestromregelung hat nicht annähernd den Charme, den eine regelmäßige manuelle Prozedur hat, wenn das Gerät quasi vor Betrieb erst neu gestimmt werden will, wie ein launischer Flügel der jedes Prozent Luftfeuchtigkeit zu spüren scheint.

Überhaupt: Die Analogie zwischen Musikinstrument und Hifi-Gerät ist für den Audiophilen eine Inspiration, und für den Ingenieur eine Geistesverirrung.

Es ist dabei nur auf den ersten Blick paradox daß der Ingenieur Unterschiede liebt -- denn er mach sie sich zu Nutze, um sein Ziel zu erreichen. Dafür gibt's viele Beispiele:

Einer der am weitesten verbreiteten und nützlichsten Arten von Verstärkern ist der Differenzverstärker. Fast jeder Audio-Verstärker, ob Endstufe oder Vorverstärker, basiert auf diesem Prinzip. Es ist eine genial einfache Idee: Man verstärkt nicht das Signal selbst, sondern man verstärkt die Differenz zwischen dem zu verstärkenden Signal und einer abgeschwächten Version des schon verstärkten Signals. Es ist eine Rückkopplung, eine Regelschleife. Der Verstärker wird so zum Korrektor, jeder Unterschied zwischen Ist und Soll wird verstärkt und bringt das Resultat wieder auf Linie. Die Konsequenzen sind durchschlagend: Plötzlich spielen Bauteilunterschiede, Temperaturschwankungen, Alterserscheinungen fast keine Rolle mehr. Alles durch die Regelwirkung kompensiert.

Oder die symmetrische Signalübertragung. Hier spielt auch wieder die Differenzbildung eine entscheidende Rolle. Dadurch werden die erwünschten von den unerwünschten Signalanteilen unterschieden. Das Telefon hätte nie funktioniert wenn das nicht so gut klappen würde, und auch hochwertiges Audio hängt davon ab.

Der CD-Spieler ist ebenfalls ein Beispiel für das angewandte Differenzprinzip: Der Laser wird in der Spur gehalten indem man die Differenz zwischen Photodioden auswertet. Auch die Information wird ausgelesen indem man die Differenz zwischen zwei verschiedenen Reflexionshelligkeiten auswertet.

Auch bei Hörtests geht's um Differenzen. Kein Wunder daß die Einen hier möglichst große, die anderen möglichst kleine Differenzen haben wollen. Für den Ingenieur kommt man der Perfektion umso näher je weniger Unterschiede feststellbar sind. Entgegen audiophilem Zynismus geht es dabei allerdings nicht darum, durch möglichst ungeeignete Vergleichsmethoden scheinbare Gleichheit zu erschleichen, sondern darum, durch möglichst sensible Vergleichsmethoden noch den kleinsten Unterschied dingfest zu machen -- damit man ihn eliminieren kann.

Weil da die gehörmäßige Differenzmethode zu unempfindlich ist, ist man unter Ingenieuren frühzeitig dazu gekommen, meßtechnische Differenzmethoden einzusetzen. So gibt es z.B. die Methode, einen Lautsprecher mit der Differenz aus dem Ausgangssignal zweier Verstärker zu betreiben, die mit dem gleichen Eingangssignals versorgt werden. Im Idealfall müßte der Lautsprecher still bleiben, denn gute Verstärker sollten keinen Unterschied produzieren. Auf diese Weise kann man beim Untersuchen von Verstärkern sehr viel empfindlicher sein als wenn man einfach einen Verstärker für sich untersucht. Man kann sogar der Differenz zuhören, und ist nicht auf das reine Messen angewiesen.

Bei solchen Vorgehensweisen muß man allerdings sehr vorsichtig sein. Es ist sehr leicht, das Ergebnis falsch zu interpretieren. Aus dem Differenzsignal kann man nicht ohne Weiteres darauf schließen ob der Unterschied im Normalbetrieb auch hörbar wäre. Es reicht wenn die Amplitude geringfügig unterschiedlich ist, oder die Zeitverzögerung, und das Ergebnis ist ein übertrieben starkes Differenzsignal, das nicht repräsentativ ist für irgendwelche Klangunterschiede. Trotzdem kann man was damit anfangen wenn man weiß was man tut, und die "prinzipbedingten" Probleme im Auge behält.

Bob Carver hat in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts das Differenzprinzip zu einer beeindruckenden Demonstration benutzt, die letztlich seine Ingenieurskunst vorführt. Ich spreche von der "Carver Challenge", in der es darum ging daß Bob Carver anbot, binnen 48 Stunden einen beliebigen Modellverstärker klanglich zu kopieren, so daß seine Kopie in seriösen Blindtests nicht vom Original zu unterscheiden wäre. Er brauchte dazu nur den originalen Verstärker, den er nicht einmal öffnen geschweige denn modifizieren durfte. Die Stereophile unter dem damaligen Chef Gordon Holt schlug ein und stellte einen Conrad-Johnson Premier Five zur Verfügung, den Carver in 48 Stunden nachahmen sollte. Das war ein Röhrenverstärker, der Mitte der 80er über 10000 Dollar kostete, und Carver wollte ihn mit einem Transistorverstärker nachbilden, den er in 48 Stunden unter Verwendung der Differenzmethode passend modifizierte.

Wie man hier nachlesen kann, ist das im Wesentlichen gelungen. Man kann sich fragen ob das Holt's Nachfolger noch so mitgemacht und vor allem zugegeben hätten, aber 1985 war offenbar noch früh genug daß die Ehrlichkeit noch nicht dem audiophilen Dünkel zum Opfer gefallen war.

Carver modifizierte den Transistorverstärker einfach so, daß die Differenz im Ausgangssignal zwischen dem Vorbild und der Nachahmung minimal wurde. Und siehe da, die hörbaren Unterschiede verschwanden ebenso, egal ob der Verstärker nun von Röhren oder Transistoren angetrieben war.

Heutzutage wäre das noch wesentlich schneller mit Hilfe von Computertechnik möglich. Was Carver noch mit dem Lötkolben und einem Sortiment von Bauteilen in 48 Stunden gelöst hat wäre heute die Anwendung einer mathematischen Transformation, von einem digitalen Signalprozessor in Echtzeit ausgeführt.

Sonntag, 1. November 2009

Spin

Der englische Begriff "spin" steht für den Drall, den man einem Ball geben kann damit er in einem Bogen oder beim Aufhüpfen in die gewollte Richtung fliegt. Dieses "Anschneiden" hat den Zweck daß der Effekt erst später oder mit der Zeit sichtbar werden soll, die endgültige Richtung sich also nicht gleich offenbart. Im Englischen wird das Wort deswegen auch im übertragenen Sinn verwendet, z.B. in der Politik, und dann ist es nicht mehr so direkt ins Deutsche übersetzbar. Der "spinmeister" oder "spin doctor" ist demzufolge der Pressesprecher (oder eine vergleichbare Figur), der eine Sache in einem Licht erscheinen lassen will, die für seinen Arbeitgeber günstig ist, wobei er die Manipulation möglichst wenig auffällig machen will.

Der amerikanische Philosoph Dan Dennett faßte kürzlich die Kriterien für guten "Spin" so zusammen:
  • Es ist keine glatte Lüge
  • Man muß es vertreten können ohne eine Miene zu verziehen
  • Es muß die Skepsis überwinden ohne verdächtig zu wirken
  • Es sollte tiefgründig erscheinen
Auch wenn sein Kontext der der Religion war, so finde ich doch unmittelbare Anwendbarkeit auf die Audiophilen. Dennett wollte damit in seinem sehenswerten Vortrag die Theologie charakterisieren, und ich meine er trifft damit ins Schwarze. Hätte er aber die "High-End-Ologen" gemeint, er hätte nicht weniger ins Schwarze getroffen. Das Prinzip scheint recht universell zu sein.

Dennett's Thema ist etwas was auch mir schon diverse Male durch den Kopf gegangen ist. Er beschreibt die Erfahrungen mit 6 anonymen Priestern, die insgeheim zu Atheisten geworden waren, aber den Schritt in die Öffentlichkeit (noch) nicht gemacht haben, und weiterhin in ihrer Priesterrolle arbeiten. So etwas müßte es eigentlich auch bei den Audiophilen geben, meine ich.

Jetzt gibt's in der audiophilen Szene keine Priester, aber es gibt durchaus de facto anerkannte Zeremonienmeister, die man in so einer Rolle sehen kann. Man stelle sich zum Beispiel mal hypothetischerweise vor, der Böde von der STEREO wäre insgeheim zum "Abstreiter" geworden. Genauer gesagt, es hat ihm gedämmert daß die "gehörten" Effekte von Kabeln, Basen, Racks, CD-Matten, Klangschälchen, und dergleichen Mumpitz, reine Einbildung sind.

Was macht so jemand in dieser Situation? Die Kündigung einreichen? Und dann? Wer würde ihn dann einstellen?

Vor diesem Problem stehen auch die Priester: Sie haben nichts anderes gelernt, sind zu alt zum Umsatteln, haben Hemmungen ihr soziales Umfeld zu schockieren (besonders ihre engsten Freunde und Verwandten), und Angst vor dem Loch in das sie dann fallen würden.

Nun ist ein Abschied vom audiophilen Glauben wohl kaum so existenziell wie der Abschied von einer Religion, aber wenn Job, Pension und soziales Umfeld davon betroffen sind, dann wäre die Entscheidung immer noch ziemlich heftig. Eben drum könnte ich mir gut vorstellen daß es auch hier Leute geben könnte wie Dennett's Priester.

So verständlich es ist, daß diese Leute nicht so einfach ihrem halben Leben den Rücken kehren können, so interessant ist es, sich die Tricks und Mechanismen anzusehen, die sie entwickeln um den Konflikt erträglich zu machen. Also den "spin", der sie in der Öffentlichkeit (und in gewissem Maß auch vor sich selber) gut da stehen läßt.

Spinnen wir also unsere Hypothese weiter: Was hätte ein "geläuterter" Böde für Alternativen?
  • Ein öffentliches "Coming-Out". Die Konsequenz wäre wohl sein Job-Verlust, Häme von allen Seiten, Schwierigkeiten einen neuen Job zu kriegen, das Eingeständnis, das halbe Leben einem Hirngespinst geopfert zu haben, eine Position zwischen allen Stühlen -- vermutlich auch privat.
  • Weiter wie bisher, sich nichts anmerken lassen. Das ist emotional schwierig. Er würde vermutlich in eine immer zynischere Haltung hineinrutschen. Wer sich so bewußt ist daß er seine Umgebung systematisch verarscht, der geht fast unweigerlich immer mehr Risiko dabei ein, probiert aus wie weit die Verarsche reicht, und verliert darüber jeden Respekt vor seiner Umwelt, die sich so verarschen läßt. Manche würden sagen das ist schon passiert.
  • Sich selbst die audiophilen Dogmen plausibel reden. Hier ist die Parallele zur Theologie am auffälligsten. Ziel ist es, den audiophilen Glauben als respektabel, vertretbar und ehrenwert aussehen zu lassen, auch wenn es dafür keinerlei triftigen Grund gibt. Das ist "spin". Es gibt einen Haufen Tricks die man dafür einsetzen kann, und Dennett zeigt ein paar davon. Theologen sind wohl die absoluten Experten in dieser Disziplin, aber die Audiophilen kommen in meinen Augen nicht weit dahinter.
Die dritte Alternative ist irgendwie die "smarteste", geschmeidigste, und man kann sie am ehesten intellektuell und tief und wichtig aussehen lassen. Das funktioniert gut genug daß sich das viele Leute selbst abkaufen, womit natürlich die Lüge gefühlt verschwindet und alles so aussieht als sei es eine legitime und gleichberechtigte Meinung. Ein paar selbstbezügliche, sich tief und bedeutungsvoll anhörende, aber in Wirklichkeit inhaltsleere Sätze, und schon ist der Glaube in trockenen Tüchern.

Ebenfalls wichtig ist das soziale Umfeld von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig bestätigen wie selbstverständlich und unbezweifelbar doch der eigene Glaube ist. Das hilft Zweifel ausräumen, erhält einen gewissen Konformitätsdruck, und erleichtert die Abgrenzung. Wenn das stark genug ist, dann kommen potenzielle Abweichler schnell in emotionelle Notlagen, womit wir wieder bei den 6 Priestern sind.

Freiheit ist was Anderes.