Freitag, 3. September 2010

Für's Auge oder für den Arsch?

Als ich dieses Jahr kurz die High-End Messe in München besuchte, ist mir beim Anblick so mancher Lautsprecherkonstruktion eingefallen, wie ich vor Jahren in London im Design-Museum eine Ausstellung über Stühle gesehen hatte. Der Stuhl scheint für Designer eine besondere Herausforderung zu bergen, denn Stühle haben auch Leute entworfen die sonst ganz andere Dinge tun, z.B. Architekten.

Ich habe da gar nichts dagegen, aber als pragmatischer Mensch komme ich nicht umhin zu bemerken, daß doch etliche dieser Konstruktionen zum Sitzen kaum geeignet sind. Es stellt sich die Frage wofür diese Exemplare eigentlich da sind: Für's Auge oder für den Arsch?

Für einen Pragmatiker ist der Daseinszweck des Stuhls selbstverständlich in der menschlichen Anatomie begründet, und muß dazu passen. So wie der Hut auf den Kopf und der Schuh an den Fuß passen muß, so muß der Stuhl zum Hintern passen, sonst hat der Designer Mist gebaut. Besondere Designerkunst vermag es, ohne Abstriche an der Sitzqualität auch eine schöne und ästhetische Optik zu erreichen. Das ist für mich ohnehin das große Ziel und der Maßstab für gutes Design: Wenn das Produkt seinem Zweck so gut angepaßt ist daß es sich wie selbstverständlich zusammenfügt und umstandslos "funktioniert", und dabei auch noch schön aussieht. Etwas das "nur" schön aussieht, aber ansonsten unbrauchbar ist, begeistert mich dagegen sehr selten.

Es folgt daraus daß der Designer zwar durchaus etwas von Ästhetik verstehen muß, daß es aber noch weitaus wichtiger ist wenn er etwas von der Anwendung und Funktion des Produktes versteht. Wer einen Stuhl designen will muß zuerst etwas vom Arsch verstehen und dann vom Auge. Wer bloß etwas vom Auge versteht sollte nicht versuchen, mir einen Stuhl zu machen.

Warum bin ich darauf beim Besuch der High-End gekommen?

Nun, mir sind dort ein paar Lautsprecherkonstruktionen ins Auge gefallen bei denen ich zwar den designerischen Wunsch zur Extravaganz klar erkennen konnte, die aber eindeutig nicht von ihrem eigentlichen Zweck her entwickelt sein können. Es sind ganz offensichtlich Designerstücke, die in erster Linie ein auffälliges Möbelstück oder Accessoire in einer Wohnung sein sollen, und die zur Not auch noch musikähnliche Geräusche von sich geben können.

Das wäre in Ordnung wenn solche Konstruktionen nicht auch noch mit überragenden Klangeigenschaften beworben würden. Die können sie nämlich schwerlich haben. Nicht daß es unmöglich wäre, aber die Voraussetzungen dafür sind einfach außerordentlich schlecht.

So gab es z.B. Lautsprecher zu sehen, die wie eine steile Pyramide geformt waren, an deren Spitze ein frei aufgehängter Hochtöner senkrecht auf eine Kugel gestrahlt hat, die wiederum den Schall des Hochtöners in alle Richtungen reflektiert hat. In der Pyramidenbasis fand man einen relativ bescheidenen Tief-Mitteltöner. Das Produkt kostet nichtsdestotrotz - ganz Designerware - ein Vielfaches dessen was der recht übersichtliche Materialaufwand erwarten ließe.

So wie ein Stuhldesigner, der keine Ahnung von menschlicher Sitzanatomie hat, so kann der Designer hier kein Verständnis von akustischen Gegebenheiten gehabt haben. Oder er hat sich entschlossen, diese Gegebenheiten im Interesse der Optik völlig zu ignorieren.

Wozu soll es z.B. gut sein, den Hochtöner in alle Richtungen strahlen zu lassen? Die wenigsten Leute werden den Lautsprecher in die Raummitte stellen wollen, und die Zuhörer drum herum sitzen lassen. Immerhin, so bräuchte man bloß einen Lautsprecher und könnte die Kosten für einen zweiten sparen. Wenn man den Lautsprecher aber in die Nähe einer Wand stellt, dann bekommt man unweigerlich Probleme mit reflektiertem Schall, der dem Klangbild im günstigsten Fall etwas gefühlte Räumlichkeit verschaffen kann, aber eher dazu beiträgt daß die Ortung verschwimmt und ein Klangbrei entsteht. Wenn man aber die Wand bedämpft um den reflektierten Schall einzudämmen, dann absorbiert man drei Viertel des Schalls der vorher in alle Richtungen abgestrahlt wurde. Mit anderen Worten: Den Löwenanteil des abgestrahlten Schalls muß man eliminieren, was den Wirkungsgrad in den Keller treibt und zusätzliche Kosten für raumakustische Maßnahmen bringt. Man fragt sich was es bringen soll, Schall in Richtungen abzustrahlen die einem bloß Ärger bringen?

Wäre es da nicht besser wenn man diese Konstruktion als Funktionsmöbel für Innenarchitekten verkaufen würde, deren hauptsächliches Interesse nicht dem Klang oder der Musik, sondern dem optischen Erscheinungsbild gilt? Ehrlicher wäre es auf alle Fälle. In ein Design-Museum schafft man es damit vielleicht auch.