Freitag, 22. April 2011

Techniker im audiophilen Soziotop

Daß man als "Techniker" von audiophiler Seite "vereinnahmt" wird ist sogar mir selbst schon passiert, trotz meiner eher konfrontativen Art. Charly versuchte z.B. mal eine Weile lang, mich quasi als Kabelklang-Kronzeugen heranzuziehen, weil ich mal einen Artikel schrieb in dem ich für Kabelklang die Störströme verantwortlich machte, die durch Masseschleifen zustande kommen können. Tenor von Charly: Kabelklang gibt's doch, seht her, selbst pelmazo bestätigt das!

Daß ich mit diesem Artikel damals zeigen wollte daß es sich eben nicht um Kabelklang handelt, sondern daß die Ursache ganz woanders liegt, fiel dabei unter den Tisch. Ich weiß seither wie dringend manche Audiophilen bestrebt sind, ihre eigenen Hirngespinste dadurch zu "rechtfertigen" daß sie nach Technikern suchen, die sie "adoptieren" können. "Gute" Techniker also, die die eigenen Ansichten zumindest scheinbar bestätigen, im Gegensatz zu "schlechten" Technikern, die sie widerlegen.

Nicht allen ist eine solche Adoption allerdings so zuwider wie mir. Manche sind dafür vielleicht einfach zu harmoniebedürftig, und lassen den Audiophilen lieber ihr Pläsir anstatt gegen die verzerrten Darstellungen einzuschreiten. Manchen ist es anscheinend wichtiger, von einer kleinen Schar audiophiler Anhänger gebauchpinselt zu werden, als ihre eigene Seriösität aufrechtzuerhalten. Manchen geht's wohl auch einfach darum, ein Geschäft zu machen.

Anschauungsmaterial dazu gab's in jüngerer Zeit wieder mal reichlich, am Beispiel von "fortepianus" und seiner Tuningmaßnahme an einem Streaming-Player, mit der die leidige Jitter-Diskussion wieder neue Nahrung bekommen hat. Zum Jitter-Thema habe ich technischerseits hoffentlich schon genug geschrieben, z.B. hier und hier, und im Grunde ist das beschriebene Tuning auch nichts Anderes als das was so gut wie jeder Tuner tut, nämlich eine Mücke zum Elefanten aufzublasen und dann zu behaupten daß das Ergebnis per Gehör erfaßt werden müsse und sich der Meßbarkeit entzieht. Eine kleine Schar von Anhängern findet sich eigentlich immer, die das dann auch tatsächlich deutlich gehört haben wollen.

Ich will das nicht nochmal durchkauen, stattdessen soll hier interessieren, worin wohl die Motivation eines "Technikers" besteht, sich auf so etwas einzulassen. Schließlich kann man sich damit auch höchst lächerlich machen.

Man kann fortepianus ein recht gutes Verständnis der Jitterthematik kaum absprechen, was ihn aber nicht daran hindert ziemlichen Unsinn von sich zu geben. Die für mich spannende Frage ist bei so etwas immer wieder, wie weit dem Betreffenden das bewußt ist, also ob er sich damit selbst täuscht oder die Anderen.

So schreibt er in einer Liste von Thesen zu Jitter nach 3 im Wesentlichen korrekten Punkten im vierten Punkt dies:
"4. Wackelt dieser Takt z. B. mit einer Frequenz von 50Hz, wird jeder Ton, der vom DAC analog rausgeschrieben wird, ein Seitenband bei seiner Frequenz plus 50Hz und minus 50Hz haben. Zu deutsch: Einem reinen Sinus mit 1kHz wird zusätzlich ein Sinus von 1,05kHz und einer mit 0,95kHz zur Seite gestellt. Was nicht gerade harmonisch klingt. Die Größe der Nebentönchen hängt direkt von der Amplitude des Jitters ab. Je mehr Jitter, desto mehr Nebendreck. Da der Jitter in der Regel keine feste Frequenz hat, sondern ein ganzes Spektrum, gesellt sich zu einem ins Analoge gewandelten Ton eine Art Hof drum rum - das ist der typische verpönte Digitalklang, unsauber, scharf, verzischte Sibilanten, flach."
Das mit den Seitenbändern stimmt, aber was den klanglichen Effekt angeht ist er völlig im Wilden. Zwar gibt er keine Größenordnungen an, aber eine Modulation mit 50 Hz in einem Taktgeber wie man ihn in normalen Digitalgeräten findet ist zwangsläufig sehr gering. Dagegen müßte aufgrund der gehörmäßigen Maskierungseffekte die Amplitude der Modulation in diesem Fall sogar recht groß sein um bemerkbar zu sein. Gerade bei "Nebentönchen", die derart nahe am Grundton liegen, ist also die Hörbarkeit besonders gering. Das bedeutet daß das Gehör für niederfrequenten Jitter weitaus unempfindlicher ist als für höherfrequenten Jitter. Das ergibt sich sowohl aus theoretischen Überlegungen als auch aus praktischen Versuchen.

Zudem weiß man ebenfalls aus theoretischen Überlegungen wie aus praktischen Versuchen, daß man Jitter noch am ehesten bemerkt, wenn man speziell dafür optimierte Testsignale benutzt, und eben nicht wenn man einfach Musik nimmt. Benjamin/Gannon fanden in ihrer Untersuchung beispielsweise heraus, daß nur wenige Musikbeispiele dafür überhaupt brauchbar waren, allesamt von Soloinstrumenten, und daß selbst da der Jitter zehn mal stärker sein mußte um hörbar zu werden als bei speziellen Sinus- und Jittersignalen.

Dagegen will fortepianus von irgendwoher wissen daß gerade daraus der angeblich typische Digitalklang resultieren soll. Ich glaube er hat nicht die geringste Vorstellung davon wieviel Jitter es braucht bis er selbst hört daß ein Musikstück dadurch unsauber, flach und scharf wird. Ich wette er hat das genausowenig seriös ausprobiert wie die vielen anderen seiner Diskussionspartner, die auch genau zu wissen vorgeben wie Jitter klingt. Fujak ist z.B. so ein Kandidat, der hier sogar mit Zahlen aufwartet, ohne daß erkenntlich wäre woher sie kommen, realistisch sind sie jedenfalls nicht.

Der nächste Punkt ist auch nicht besser:
"5. Der Jitter muss also vor dem DAC weg. Dazu gibt's allerlei Verfahren der Neutaktung. Wie auch immer diese durchgeführt wird (wenn überhaupt), hat sich das Problem herauskristallisiert, dass man den Jitter mit diesen Methoden (Neutaktung durch z. B. Big Ben, asynchrone Sampleratenkonverter etc.) leider nie ganz weg kriegt. Der Grund ist, dass der Takt eine recht hohe Frequenz im MHz-Bereich hat - jedes Stückchen Draht, jede Leiterbahn und jedes Bauteil wirkt als eine kleine Antenne, die sowohl senden wie auch empfangen kann. Das nennt man Übersprechen. Auch wenn man neu taktet, wird also der alte Wackeltakt auf den neuen etwas übersprechen. Was den neuen Takt wieder etwas wackeln lässt, wenn auch weniger, als den alten - gesetzt den Fall, dass der neue Takt besser ist als der alte."
Das ist ein roter Hering. Es gibt ohnehin keinen jitterfreien Takt, der Versuch einen jitterfreien Takt zu erzeugen oder wiederzugewinnen ist also von vorn herein vergeblich. Es ist aber auch gar nicht nötig. Wichtig ist, ob der Jitter niedrig genug ist für die gegebenen Anforderungen. Und das kriegt man auf die verschiedensten Arten hin, einschließlich der Neutaktung, auch im Beisein von Übersprechen. Was zählt ist was hinten rauskommt.

Charakteristisch bei solchen Argumentationsweisen ist die Vermeidung jeder quantitativen Diskussion, und damit die Beförderung der Suggestion beim unbedarften Leser, die erwähnten Effekte müßten bedeutend sein und schwierig zu beherrschen. So ist das aber nicht. Klar gibt es alle diese Effekte, wie Übersprechen und datenabhängiger Jitter. Die Existenz streitet niemand ernsthaft ab. Es geht immer um die Größenordnungen, ab denen die Effekte relevant werden, denn einen irrelevanten Wert noch weiter zu verbessern ist aus klanglicher Sicht unnütz, wenngleich er den technischem Ehrgeiz noch immer herausfordern kann.

Diesen technischen Ehrgeiz kann ich gut nachvollziehen, und ich habe insofern auch mit fortepianus eine gewisse Sympathie. Mein eigener Ansatz geht aber eher dahin, wie weit man solche Faktoren wie Jitter in einem gegebenen System verbessern kann, auch über das nötige Maß hinaus, ohne daß man es dadurch merklich teurer macht. Das ist in meinen Augen die eigentliche Ingenieurskunst. Klotzen kann jeder, und wenn man sinnlos klotzt wird's peinlich.

Was ich dagegen nicht nachvollziehen kann, und worauf ich allergisch reagiere, ist diese zur Schau getragene Sicherheit was die klanglichen Auswirkungen angeht. Keiner prüft auch nur ansatzweise nach inwiefern die Effekte tatsächlich auf den Jitter zurückzuführen sind, noch nicht einmal die bloße Einbildung wird glaubwürdig ausgeschlossen, und das allen über Jahre hinweg bis zum Erbrechen durchdiskutierten Einflußfaktoren zum Trotz. Diese systematische Verdrängung und Verweigerung ist vielleicht das eindeutigste Indiz dafür wenn jemand, ob ansonsten "Techniker" oder nicht, die professionelle Vorsicht ad acta legt und sich den audiophilen Hirngespinsten hingibt.

Aber vielleicht ist das auch nur so weil es sich lohnt. Im Falle der Tuningmaßnahmen von fortepianus scheint der Hype inzwischen groß genug zu sein um diesen Faktor nicht ganz unbedeutend erscheinen zu lassen, besonders wenn stimmt was schon im Januar geschrieben wurde, nämlich daß bereits über 50 solcher Tunings durchgeführt worden sein sollen. Bei Einzelkosten von mehreren Hundert Euro macht das einen Gesamtumsatz der nicht mehr so recht als reines Hobby durchgeht.

Ob sich das genug lohnt um seine Seriösität dafür auf's Spiel zu setzen ist eine andere Frage.


Hier ist der Platz für Kommentare.