Freitag, 8. Juli 2011

Animismus und Komplexität

Ihr lest bestimmt immer mal wieder einen dieser Artikel in denen jemand Hörerlebnisse berichtet. Zeitschrift oder Forum, egal. Wo dann davon die Rede ist, daß Verstärker X oder CD-Spieler Y oder Kabel Z den besseren Überblick behielt, das Klanggeschehen gelassener rüberbrachte und komplexe Klangstrukturen besser aufgedröselt hat. Anfangs habe ich das einfach für blumige, metaphernreiche Sprache gehalten. Eine Weile lang liest sich das ja auch ganz nett und nicht so trocken. Ich dachte man könnte davon ausgehen daß sich die Leute bei aller blumigen Sprache durchaus bewußt sind daß sie es da mit einem leblosen Ding zu tun haben, das vielleicht kompliziert ist und in seinen inneren Funktionen unverstanden und mysteriös, das aber sicher keine Fähigkeiten hat die sonst Menschen vorbehalten bleiben, weil sie eine Gehirnleistung erfordern.

Inzwischen glaube ich eher, daß eine ganze Reihe von Leuten solche Texte viel wörtlicher verstehen als ich gedacht hätte. Sie reagieren einfach so daß sich diese Annahme aufdrängt.

Offenbar ist der Animismus unter den Leuten nach wie vor weit verbreitet, aller Bildungsanstrengung zum Trotz. Immer wenn ein Ding, das man nicht durchschaut, etwas zu tun scheint ohne daß man das selbst bewirkt hätte, dann vermutet man eine Art Geist oder eine Seele darin. Das Ding bekommt einen eigenen Willen, und eine eigene Intelligenz zugesprochen. Bei komplexen Dingen wie einem Computer oder einem Flugzeug ist das vielleicht noch eher verständlich, aber für manche Leute gilt das sogar für Steine.

Ich gebe zu daß ein Reflex in diese Richtung wohl eine allgemein menschliche Eigenschaft ist. Wenn ich mir beim Hämmern auf den Finger geklopft habe kann es schon passieren daß ich auf den Hammer wütend bin. Wenn der Schmerz nachgelassen hat und mein Verstand wieder funktioniert, dann ist mir natürlich klar daß der Hammer nichts dafür kann, daß er kein Eigenleben hat und mir keins auswischen wollte, daß er einfach ein totes Ding ist das ich entweder zu meinem Nutzen oder zu meinem Schaden gebrauchen kann. Daß ich es bin der mir auf den Finger geklopft hat und nicht der Hammer.

Ein Kabel ist kein deutlich komplexeres Ding als ein Hammer, außer daß sein Zweck und seine Funktion mit der Elektrizität zusammenhängt, für deren Wahrnehmung der Mensch keinen Sinn hat, und die daher etwas mysteriös erscheint. Für manche Leute reicht das schon. Ein elektronisches Gerät ist aber wesentlich komplexer, und die Komplexität der Geräte wächst auch rasant mit dem technischen Fortschritt. Das macht sie undurchsichtig, und weil man nicht weiß was darin vor sich geht, scheinen viele Leute de facto zu glauben daß die Dinger ein "Eigenleben" haben.

Was dabei auch eine Rolle zu spielen scheint ist dieses: Viele Leute scheinen mit ihrem eigenen Unbewußten auf Kriegsfuß zu stehen. Was sie in Wirklichkeit selbst bewirkt haben, muß auf etwas Anderes oder auf jemand Anderes übertragen werden, weil man nicht akzeptiert daß eine Seite von einem selbst dahinter steckt, die man nicht unter Kontrolle hat. Wenn ein Verstärker anscheinend eine komplexe Klangstruktur aufgedröselt hat, dann ist es selbstverständlich der Hörer selbst, der das getan hat. Ohne daß er sich dessen bewußt ist, und vielleicht auch ohne daß er es bewußt wollte. Der Verstärker jedenfalls hat es nicht getan, der ist bloß ein totes Ding.

Der Verstärker braucht dazu überhaupt nichts beigetragen zu haben. Er braucht noch nicht einmal anders geklungen zu haben, es reicht wenn der Hörer durch irgend etwas dazu animiert wurde, ein bißchen genauer hinzuhören, und dadurch mehr mitzukriegen. Dieses "etwas" kann der Anblick der Frontplatte des Verstärkers sein, oder einfach die Stimmung des Hörers im gegebenen Augenblick. Auch hier, wie beim Hammer, ist der aktive Part beim Menschen selbst, und nicht beim Ding. Das Ding muß allenfalls als Projektionsfläche herhalten.

Auch wenn es Leute gibt die keine Probleme damit haben selbst einfachsten Objekten ein Eigenleben zu unterstellen, so scheint es doch umso leichter zu werden je komplexer und undurchsichtiger das Ding ist. Das hat auch damit zu tun wie viel man von den Zusammenhängen versteht. Ein Verstärker ist auch nicht komplexer als eine Kettensäge. Wenn man mal die grundlegenden Zusammenhänge begriffen hat, ist das kein mysteriöses Ding mehr. Es mag zwar hier wie da unendlich viele kleine Details geben an denen man herumoptimieren kann und unterschiedliche "Designphilosophien" verwirklichen kann, aber es ist eigentlich immer dasselbe Funktionsprinzip am Werk. Eigenleben ist da keines drin.

Laut Arthur C. Clarke's drittem Gesetz ist eine hinreichend fortschrittliche Technologie nicht von Magie zu unterscheiden. Das ist in Ordnung, bloß mache ich mir Sorgen wenn Leute schon bei recht einfacher Technologie geradezu scharf darauf zu sein scheinen, Magie darin zu entdecken. In Kabeln sogar! In Regalen! Warum? Bloß um den Beitrag des eigenen Unbewußten zur Wahrnehmung zu verleugnen?

Manche Leute verteidigen das mit dem Argument, daß diese Magie letztlich viel spannender und interessanter wäre als die trockene Technik. Ich bin da mal wieder anderer Meinung. Was kann ich denn mit Magie anderes anfangen als verständnislos und glotzäugig davor zu sitzen? Um etwas Konstruktives anzufangen mit den Dingen muß ich wenigstens ansatzweise verstehen was sie machen und wie sie funktionieren, und dann ist die Magie weg. Der Spaß geht dann aber los, denn jetzt kann ich aktiv werden, während ich bei Magie bloß staunen kann.

Es ist kein Zufall daß die Anhänger dieser Art von Magie in ganz profanen Audiogeräten so oft auf Komplexität herumreiten. Das Argument mit den komplexen Klangstrukturen kommt ja sehr regelmäßig immer dann wenn man versucht deutlich zu machen daß die Technik im Grunde gar nicht so undurchschaubar ist, und daß man mit der Kenntnis einiger Grundlagen schon weit kommen kann. Weil Musik so komplex sein kann, so der Tenor der Argumentation, muß es die Technik auch sein, bzw. die Betrachtung der Technik. Jede Reduktion auf einfache Prinzipien wird so aufgefaßt als würde man dadurch auch die damit wiederzugebende Musik auf diese Einfachheit reduzieren.

Ein Verstärker zum Beispiel verstärkt ein veränderliches elektrisches Signal. Über die Zeitachse aufgetragen ergibt das einen Kurvenzug wie man ihn von Oszilloskopschirmen oder von der Bildschirmdarstellung einer Audiosoftware kennt. Egal wie einfach oder komplex die Klangstrukturen sein mögen, der Verstärker sieht bloß einen Kurvenzug, und verstärkt ihn. Inhalts- und strukturloses Rauschen ist für ihn genauso komplex wie ein Orchesterstück mitsamt großem Chor. Auch ein einfaches Sinussignal ist schon ein ständig sich änderndes elektrisches Signal, und damit durchaus geeignet als Testsignal für Verstärker. Die Vorstellung, daß er auf komplexe Signale ganz anders reagieren könnte als auf einfache, verkennt völlig auf welcher Ebene ein Verstärker arbeitet.

Letztlich wird dadurch klar wohin das Komplexitätsargument zielt: Damit soll nichts erklärt werden, sondern eine Erklärung quasi verhindert werden. Es geht um die Verteidigung eines animistischen Weltbildes, in dem die Magie und das "belebte" Ding ihren Platz behalten sollen. Die sind durch eine analytische und die Komplexität reduzierende technische Betrachtungsweise in Gefahr.


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