Sonntag, 16. April 2017

Die Ja-Sager

Die Türken haben mehrheitlich für das neue Präsidialsystem gestimmt, und damit ihren Präsidenten Erdogan quasi zum Monarchen gemacht. Erdogan selbst glaubt offenbar, damit Deutschland und etlichen weiteren westlichen Ländern eine "Lektion" erteilen zu können. Ich finde das Ergebnis aber ganz gut. Überrascht? Laßt es mich erklären.

Ich finde, diese Entscheidung ist gut für Europa. Nachdem man jahrzehntelang mit der Türkei wegen einem eventuellen EU-Beitritt herumverhandelt hat, ohne Nägel mit Köpfen zu machen, entfällt jetzt die Notwendigkeit zu fortgesetzter Heuchelei. Es ist schon lange klar, daß man die Zustimmung für diesen Beitritt weder unter den Regierungen noch unter den Wählern der bisherigen EU-Länder zusammen bekommen würde. Das kann man bedauern, aber es ist so. Die Entscheidung in der Türkei macht es leichter, das jetzt auch offen einzugestehen. Ich hoffe daß das jetzt auch zügig passiert.

Das hat natürlich auch mit der Religion zu tun. Es gibt unter den EU-Ländern diverse, die ein muslimisches Land nicht in der EU sehen wollen. Und unter der Bevölkerung ist es in einigen Ländern ebenso. Gut finde ich das selbstredend nicht, denn es zeigt welchen Einfluß religiöse Bigotterie immer noch auf die Politik auch in der EU hat, aber das Problem existiert nun einmal, und wie man in den letzten Jahren gesehen hat wird es duch das Ignorieren eher schlimmer.

Und auch in der Türkei selbst ist die religiöse Orientierung der Politik ein Hindernis für einen EU-Beitritt. Wer wie Erdogan selbst so intensiv mit der religiösen Karte spielt disqualifiziert sich auch von seiner Seite für einen EU-Beitritt.

Also laßt uns das EU-Beitritts-Projekt begraben. Klar und deutlich. Mit Erdogan wird das nichts mehr, und ob es nach Erdogan nochmal was werden kann, muß man dann sehen. Bis dahin wird noch viel Wasser den Bach runter laufen, und in welchem Zustand dann die EU sein wird ist ja ebenfalls ziemlich offen. Einstweilen hat man damit bessere Chancen, sich unter den momentanen EU-Mitgliedsländern wieder halbwegs zusammen zu raufen. Da gibt's schon genug Probleme.

Es könnte sogar für die Flüchtlingspolitik gut sein, weil es klar macht, daß man dieses Problem in der EU selber lösen muß, und es nicht an die Türkei delegieren kann. Wir haben ja schon in den letzten Monaten zur Genüge gesehen welche diplomatischen Erpreßbarkeiten man sich damit einhandelt. Viele Flüchtlinge kommen inzwischen eh wieder auf anderen Wegen in die EU, z.B. über Libyen. Dagegen hilft ein Pakt mit der Türkei sowieso nichts.

Und dann wäre da noch die NATO. Man muß sich fragen ob man in Deutschland bereit ist, im Ernstfall deutsche Soldaten für Erdogan's Herrschaft kämpfen und ggf. sterben zu lassen. Ich wäre sehr dafür, dort ebenfalls für klare Verhältnisse zu sorgen, und zwar bevor der Ernstfall eintritt. Der Ernstfall, das wäre die Ausrufung des Bündnisfalls durch den NATO-Rat. Das hat zwar nicht unmittelbar den Eintritt der Bundeswehr in Kampfhandlungen zur Folge, das müßte nämlich vom Bundestag beschlossen werden. Aber wie steht die NATO da, wenn die Türkei angegriffen würde und die NATO tut nichts, obwohl Erdogan Unterstützung einfordert? An dem Punkt müßte sich jedes NATO-Land die Frage stellen, was die NATO-Mitgliedschaft im Ernstfall noch wert wäre. Es könnte gut sein daß so etwas der Anfang vom Ende der NATO wäre.

Wenn man die Türkei aus der NATO komplimentiert, dann wäre das natürlich ein Triumph für Putin. Ich finde, das kann man verschmerzen, selbst wenn sich die Türkei dann an Russland annähern würde. Ich finde, Putin und Erdogan würden gar nicht schlecht zusammen passen. Vielleicht würden sich die beiden Autokraten ja ganz gut vertragen. Wir bräuchten uns auch nicht so sehr über den Verlust grämen, denn nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sind ja einige Staaten aus dem Militärbündnis der Sowjets, dem Warschauer Pakt, zur NATO übergelaufen. Da kann man auch mal den umgekehrten Vorgang verschmerzen.

Man müßte dann die Luftwaffenbasis Incirlik aufgeben, aber dafür findet sich bestimmt ein Ersatz. Auf Zypern gibt's z.B. schon lange große englische Militärbasen, ich denke die könnten einspringen. Sowieso würde man wohl vorsichtshalber mehr NATO-Militär in Griechenland stationieren, wenigstens so lange bis sich der Staub gesetzt hat.

Wir werden uns allerdings auf einen deutlichen Zustrom von Türkei-Flüchtlingen einstellen müssen. Viele derjenigen Leute, die mit Nein gestimmt haben, und/oder einer pseudo-monarchistischen, autoritären Staatsform wenig abgewinnen können, werden wohl raus wollen und sich nach Westeuropa orientieren. Das wird vermutlich der besser ausgebildete, eher mit unseren Wertvorstellungen harmonierende Teil der Leute sein. Die Städter eher als die Landeier. Viele von denen wird man hier brauchen können. Wir sollten sie auch nicht mies behandeln. Die Frage ist eher, wie man die Erdogan-Verehrer unter den Türken hierzulande dazu bringen kann, in die Türkei zurück zu gehen. Ich finde die könnten ruhig mal konsequent sein und ihren Ansichten auch entsprechende Taten folgen lassen. Das sollte auch zügig passieren, so lange die Begeisterung für Erdogan noch anhält.

Insofern finde ich auch, daß sich die Türken mit dieser Abstimmung vor allem selbst eine Lehre erteilen. Die Einsicht, was sie da getan haben, und was daraus folgt, wird vielen erst allmählich dämmern, so wie kürzlich den Briten in der Folge der Brexit-Abstimmung. Ob da nicht irgendwann eine gesteigerte Erkenntnis heraus kommt, was Demokratie bedeutet und was man davon hat?

Erdogan kann sich jetzt jedenfalls in einer Weise bestätigt sehen, die ihn für den Rest seiner Lebenszeit an der Macht halten dürfte. Es wird während seiner verbleibenden Lebenszeit keinen Kandidaten geben, der ihn beerben könnte. Dafür wird er schon selber sorgen, die Mittel hat er dafür alle in der Hand.

Mir fällt dafür das Beispiel von Robert Mugabe ein, der seit fast 30 Jahren der Präsident von Simbabwe ist. Auch da gibt es keinen Kandidaten, der ihn ersetzen könnte, so daß Mugabe offenbar plant, trotz seines fortgeschrittenen Alters von dann 94 Jahren im kommenden Jahr wieder zur Wahl anzutreten. So ähnlich sehe ich das für Erdogan ebenfalls kommen. Er wird zwar weiterhin Wahlen abhalten lassen, aber gleichzeitig dafür sorgen, daß sie zu seinen Gunsten ausgehen. Die Türken werden warten müssen, bis die Natur das Problem löst, denn sie werden ihn realistischerweise nicht wieder durch eine Wahl loswerden können. Höchstens durch einen Aufstand, was nicht ohne Blutvergiessen vonstatten gehen wird.

Aber das ist ja nicht unser Problem in der EU. Im Gegenteil werden sich hier die Demokratie-Anhänger sammeln, eben auch aus der Türkei, was der EU durchaus gut tun könnte. Auch für die hiesigen Wahlen bin ich guter Dinge. Wir haben zwar auch hierzulande zu viele Leute, die von einem autoritären Regime träumen, aber wenn die mit ansehen müssen, was dabei in der Praxis heraus kommt, kommen sie hoffentlich auf neue Gedanken. In dem Fall wäre es tatsächlich eine Lektion für Deutschland und andere EU-Länder. Ein gutes schlechtes Beispiel sozusagen.

Und es wird selbstverständlich den Bach runter gehen in der Türkei, ich denke das kann man einigermaßen klar sagen. Nicht nur freiheitsmäßig, sondern auch wirtschaftlich. Der Tourismus wird sich lange nicht auf den Stand erholen, den er mal hatte. Die gespaltene, zur Gewalt neigende Gesellschaft wird fortgesetzt großen Aufwand an staatlicher Repression zur Folge haben, und das ist nicht nur teuer, es lähmt auch den unternehmerischen Tatendrang. Bürokratie und Korruption werden wuchern, und die Bildung wird sicher nicht in Richtung eigenständiges Denken arbeiten, sondern eher religiös-dogmatische Verblödung produzieren. Wer was auf der Pfanne hat, der geht ins Ausland. Erdogan wird fett mittendrin sitzen und sich bereichern. Siehe Simbabwe.

Aber das türkische Volk hat es demokratisch und mehrheitlich entschieden, also sollten wir ihnen die Erfahrung nicht streitig machen, die daraus folgt. Auch wenn die Abstimmung nicht ganz fair war, wie man ja allgemein weiß, so wäre es doch nicht so weit gekommen, wenn genug Türken ein Interesse an demokratischen Verfahren und Verhältnissen gehabt hätten. Es kann kein Zweifel bestehen, daß genügend Türken ihrem Präsidenten nur zu gern die Macht überlassen, und sich anscheinend keine großen Gedanken darüber machen, wie man sie ihm im Ernstfall wieder nehmen kann, falls das passiert, was bei solcher Machtfülle immer irgendwann passiert: Despotismus. Es gilt auch hier das Bon-Mot: "Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut."

Sehen wir's also positiv: Wir im sog. "Westen" können nicht nur etwas daraus lernen, wir bekommen auch die Möglichkeit, uns ehrlicher zu machen und für klarere Bündnis-Verhältnisse zu sorgen. Und die Türken können ebenfalls etwas daraus lernen, auch wenn es lange dauern wird, bis sie die Gelegenheit bekommen, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Jetzt müßte man nur noch eine Lösung für die Kurden finden.